Andreas Jost, Ulm

Buch Besprechung von Neuerscheinung:
Albert Steffen. Die jungen Jahre des Dichters. Biographie, Band I
Verlag Schöne Wissenschaften, Dornach

Der Dichter Albert Steffen (1884-1963) gehörte in seinen jungen Jahren zu den größten literarischen Hoffnungen der deutschsprachigen Schweiz. Mit seinen frühen Romanen „Ott, Alois und Werelsche“, „Die Bestimmung der Rohheit“, „Die Erneuerung des Bundes“ und „Sibylla Mariana“, verlegt beim renommierten S. Fischer Verlag, machte sich eine außerordentlich poetische Stimme bemerkbar, die auch großen Zeitgenossen wie Hermann Hesse und Thomas Mann nicht verborgen blieb.

Nun ist im Dornacher Verlag für Schöne Wissenschaften der erste Band seiner Biographie erschienen – spät zwar, aber dafür umso fundierter und umfassender konzipiert.

Zusammen mit der Albert Steffen- Stiftung hat Klaus Hartmann „Die jungen Jahre des Dichters“ (1884-1919) in einem 460 Seiten starken Prachtband, versehen mit vielen bisher unveröffentlichten Bildern und Fotografien, herausgebracht.

„Der Grund, weswegen es an die 60 Jahre dauerte, bis nun wenigstens der erste Band der auf drei Bände angelegten Biographie vorliegt, ist vor allem in der schier unerschöpflichen Materialfülle zu suchen“, ist im Vorwort zu lesen. So hat sich der Biograph nicht nur durch rund 70 Buchtitel aller Literaturgattungen zu ackern (neben den Romanen vor allem Dramen, Gedichte und Essays), sondern auch durch ca. 23.000 Seiten Tagebuch, die zuvor schon aus Steffens „schwer zu entziffernder Handschrift“ in eine Schreibmaschinenabschrift gebracht worden waren.

Die mühselige und zeitaufwendige Recherchenarbeit hat sich allerdings gelohnt. Die Ausführungen zur Familiengeschichte, zum persönlichen Umfeld bis hin zur plastischen Landschaftsschilderung von Steffens Geburtsort Murgenthal und dem  Fluss Aare, in dem der spätere Dichter so gerne badete und ausgezeichnete Schwimmkünste erwarb, versetzen den Leser unmittelbar in die Lebenswelt des Porträtierten. Dabei fallen insbesondere die zahlreich zitierten Selbstzeugnisse und Tagebuchauszüge Steffens ins Gewicht, dessen Naturbeschreibungen einen magischen Sog entfalten und zum unvergleichlichen Steffen-Klang gehören, den seine Leser an ihm schätzen.

So entsteht ein vielschichtiges, äußerst lebendiges Bild des jungen Dichters, das uns eine Persönlichkeit entgegentreten lässt, wie wir sie aus dem bisher Gekannten kaum vermutet hätten. Wer kann sich beispielsweise den späteren Vorstand der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft als 14-jährigen Rabauken, der gerne mal eine raucht, einen Schoppen trinkt und sich tagein, tagaus mit den Dorfburschen herumtreibt, vorstellen?

Ob es die unbeschwerten Naturerlebnisse oder manchmal auch sehr schmerzhaften Erfahrungen im dörflichen Umfeld  sind (mit 7 Jahren wird er von einem Hundebiss schwer verletzt), ob es Auseinandersetzungen mit mehr oder weniger geistreichen Lehrern in Grundschule, Gymnasium und späterer Universität sind, oder ob es dann um die Hoffnungen, Wünsche und Selbstzweifel des angehenden Schriftstellers geht – in dieser Biographie tritt uns das Wesensbild einer hochsensiblen, hellsichtigen Persönlichkeit entgegen, das umfassend dargestellt, wertschätzend kommentiert und sich somit, bereichert durch die vielen Selbstzeugnisse, unverstellt offenbaren kann.

Nicht nur für anthroposophisch grundierte Leser und Leserinnen dürften Steffens erste Begegnungen mit Rudolf Steiner und seinem damals noch theosophischen Umfeld von Interesse sein. Spannend – und zuweilen durch seine heftig ablehnenden Reflexe auch irritierend – sind die Tagebuchnotizen infolge seiner Begegnungen mit Kandinsky, Klee und Gabriele Münter, in welchen Steffen durchaus auch einmal zu antimodernistischen und kulturkonservativen Urteilen neigen konnte. Literaturinteressierte Leser dürfen sich auf Beschreibungen bekannter Dichterpersönlichkeiten wie Hesse, Rilke, Morgenstern oder Robert Walser freuen, denen Steffen ebenso begegnete wie einigen anderen Größen aus dem damaligen Kulturleben, darunter auch dem Maler Ferdinand Hodler.

Wer etwa Volker Weidermanns Bestseller „Träumer – Als die Dichter die Macht übernahmen“ über die Münchner Räterepublik gelesen hat, kann von Steffen, der selbst an den Vorgängen beteiligt war und viele der Akteure persönlich kannte, noch einmal eine ganz andere Sichtweise auf die Ereignisse rund um diese „Dichter-Revolution“ erfahren. Während Steffen die erste Phase der Räterepublik, die verbunden war mit Persönlichkeiten wie Kurt Eisner, Ernst Toller, Gustav Landauer und Erich Mühsam, trotz des allgemein herrschenden Chaos in Münchens Strassen wohl auch  als Hoffnungsschimmer auf eine bessere Zukunft erlebt hatte, sprach er von den kommunistischen Anführern Levien und Levine´, die nach Eisners Ermordung ans Ruder kamen, von „verbrecherischen Menschen“. Mit Blick auf die tieferen Hintergründe der Ereignisse, die er aus nächster Nähe erlebte, spürte er die Beteiligung und inspirierende Kraft von im Weltkrieg gefallenen Soldaten-Seelen –andererseits aber auch das Aufsteigen eines zerstörerischen Tieres, das aus dumpfen Untergründen zur Ermordung Eisners und zu Judenvernichtung anstachelte. Eine Vorahnung auf den Ungeist des Nationalsozialismus? Aus dieser Stimmung heraus verfasste er sein Drama „Das Viergetier“. Und notiert ins Tagebuch: „Ich aber habe in den nächsten Jahren den Deutschen ein neues Drama zu bringen und hernach eine neue Schule.“

Zu diesem Zeitpunkt, am 10. Dezember 1919, hatte Steffen sein 35. Lebensjahr erreicht und sprach selber vom Beginn der „Meisterjahre“. Damit endet der erste Band seiner Biographie – nach über 400 aufschlussreichen Seiten mit vielen überraschenden Aspekten zum Leben dieses außergewöhnlichen Menschen und bedeutenden Dichter, der heute völlig zu unrecht in Vergessenheit geraten ist, darf man gespannt auf die zwei angekündigten Folgebände warten.

Andreas Jost, Ulm in „Die Christengemeinschaft“