Rehabilitierung: Ein Nachtrag und eine Vorschau

Weshalb hat sich die Albert Steffen-Stiftung nicht zu den Rehabilitierungsbestrebungen für Ita Wegman und Elisabeth Vreede geäussert, weder im Vorfeld der Abstimmung noch während der Generalversammlung?
(Beitrag der Albert Steffen-Stiftung in Anthroposophie weltweit Nr. 7-8/2018)

Diese Frage wurde mehrfach an uns herangetragen, in Form von Bitten und auch als Kritik. Denn in der Broschüre der Rehabilitierungs-Initiatoren war die Persönlichkeit Albert Steffens als damaligem Erstem Vorsitzenden (neben der von Günther Wachsmuth) Zielpunkt der Kritik in bezug auf die Ausschlüsse von 1935. Es hiess dort:

„An dieser Stelle sei angemerkt, dass in keinster Weise eine absolute Verurteilung der Persönlichkeiten Albert Steffens und Günther Wachsmuths intendiert ist oder erfolgen darf. Auch ihr Einsatz für die Anthroposophie ist hoch zu schätzen. (…) Einen Fortschritt in der Bewusstseinsseelenhaltung könnte es bedeuten, wenn wir in den Taten eines Menschen das Wirken der Gegenmächte erkennen können, ohne dadurch die Liebe zu ihm als Mensch zu verlieren oder sein wahres Streben zu erkennen.“

(An dieser Stelle ist verwiesen auf eine Anmerkung, die ein Zitat Rudolf Steiners enthält über unbewusst bleibende, maskierte Handlungsmotive. Weitere Zitierungen Rudolf Steiners, die auf Steffen und Wachsmuth angewendet werden, legen nahe, dass diese unter dem Einfluss dämonischer Gegenmächte gehandelt hätten).

Justus Wittich betonte in seinem Artikel in Anthroposophie weltweit, dass es mittlerweile erwiesen sei, dass Ita Wegman und Elisabeth Vreede „ohne Makel“ gewesen seien und schloss sich implizit der Ansicht an, dass die Ausschlüsse aufgrund einer objektiven Fehlleitung der Verantwortungsträger der Gesellschaft geschehen seien.

Der Grund für die Zurückhaltung der Albert Steffen-Stiftung besteht aus mehreren Gründen:

Erstens und vor allem kam die Rehabilitierung für uns zu früh. Zwar arbeiten wir gerade jetzt an der Erstellung einer dreibändigen Biographie Albert Steffens, für die die vorhandenen Tagebuchaufzeichnungen aus fast 60 Jahren intensiv ausgewertet und streckenweise ausgiebig im Wortlaut zur Verfügung gestellt werden sollen. Die Bemühungen laufen dahin, den ersten Band, der Kindheit, Jugend, Festigung der Persönlichkeit bis zum Umzug nach Dornach im Jahre 1920 umfassen wird, noch in diesem Jahr zu veröffentlichen. Der zweite Band wird dann den Jahren 1925-1935 gewidmet sein und Albert Steffens Blick auf die Konflikte, die zum Ausschluss Ita Wegmans, Elisabeth Vreedes und deren Anhängern geführt haben, ausführlich behandeln.

Allein, wir sind so weit noch nicht. Nach dem altersbedingten Ausscheiden des langjährigen Stiftungspräsidenten Dr. Heinz Matile gibt es derzeit keinen Menschen in der Stiftung, der sich in die Vorgänge um 1935 eingearbeitet hat. Das Thema ist so gross und vielschichtig, dass es viel Zeit braucht, um sich darin auszukennen, und da wir keine Oberflächlichkeiten oder gar Parteimeinungen von uns geben wollen, da jedes Steffen-Zitat, das ihn von Vorwürfen frei sprechen würde, sicher mit einem Gegen-Zitat, das das Gegenteil aufzeigen würde, beantwortet würde, haben wir uns entschlossen, uns in der anthroposophisch-öffentlichen Diskussion der Sache nicht zu äussern. Wir empfinden dies selbst als Makel, stehen aber lieber zur Lücke, als hinterher vielleicht hinter selbstproduzierten Stellungnahmen stehen zu müssen, die sich als weder fundiert noch haltbar erweisen könnten.

Dazu kommt, dass uns – wir bitten um Verzeihung – die Art und Weise der Rehabilitierungsbemühungen unseriös erscheint. Rehabilitierung ohne Aufarbeitung mit dem Hinweis, das zu den Bemühungen berechtigende Material sei (fast ausschliesslich) in Büchern zu finden, die enge Mitarbeiter Ita Wegmans verfasst haben, ist schon eher eine unangenehme Sache und wendet sich an das Gefühl, nicht an die Urteilsfähigkeit. Die diesjährige Abstimmung war auf der Grundlage aufgebaut, „es sei Unrecht geschehen“. Dabei wurde dies Unrecht der damaligen „Gewinnerseite“ zugeschoben, und die damals Ausgeschlossenen wurden als unschuldige Opfer dargestellt. Über die Gründe für die Ausschlüsse wurde nicht gesprochen und somit den fast 1700 Mitgliedern, die für die Ausschlüsse gestimmt hatten (die Gegen- und Enthaltungsstimmen beliefen sich zusammen auf 129), Fehlurteil oder Irregeleitetsein unterstellt.

Schliesslich stellen wir die Bedeutung des Vorgangs insgesamt in Frage, indem wir nicht abschätzen können, was so eine Beschluss-Rücknahme nach über 80 Jahren für die betroffenen Individualitäten bewirkt und auch nicht den Eindruck hatten, dass die Antragsteller über ein erweitertes Bewusstsein für diesen Punkt verfügten.

Es war sicher ein Versäumnis von unserer Seite, das, was hier nach über zwei Monaten recht unaktuell daherkommt und vor allem von unserer Inkompetenz in der bewussten Angelegenheit spricht, nicht bereits vorher veröffentlicht zu haben.

Das grosse Anliegen, dem gewiss auch die Rehabilitatoren zustimmen, ist, nicht wieder neue alte Grabenkämpfe zu eröffnen.

Zeitweise befürchteten wir, das Ergebnis der Rehabilitierungs-Bemühungen könnte sein, dass als nächstes Albert Steffen und Günther Wachsmuth rehabilitiert werden müssten.

Im Stiftungsalltag begegnen uns die alten Differenzen und Beschuldigungen kaum noch; manchmal ist man sogar versucht zu denken, dass das alles vorbei sei, dass die Geschichte sich selbst erledigt habe. Die Bestrebungen um die Rehabilitierung Ita Wegman und Elisabeth Vreedes haben nun nicht nur der Sache nach, sondern auch im Duktus, in dem sie geführt wurden, gezeigt, dass nicht aufgearbeitete Konflikte unter der Oberfläche des täglichen Geschehens weiterwesen und der Erlösung harren.

Die endgültige Befriedung des Gewesenen liegt sicher bei den betroffenen Individualitäten selbst. Wir anderen, die wir Schmerz und vielfach Unverständnis für die Entzweiungen empfinden, können uns nur mit persönlicher Zurückhaltung und versuchter Unparteilichkeit bemühen, Licht in die damaligen komplizierten Geschehnisse zu bringen.

Wir hoffen, mit unserem Biographie-Projekt dazu beitragen zu können. Im Mittelpunkt der Blickrichtung steht nicht Steffens Rolle als Erster Vorsitzender, sondern die Gesamtdarstellung seines Lebensgangs. Diese soll zu einem Verständnis seiner Persönlichkeit führen, aus dem sich sein ganz eigenes Ergreifen und Ausfüllen des Vorsitzes erklärt.

– Bleibt der Bericht, dass die Bitten um finanzielle Unterstützung des Biographie-Projekts bisher unerfüllt blieben. Ausser aus dem kleinen Freundeskreis der Albert Steffen-Stiftung kamen keine Zuwendungen, auch die grossen anthroposophischen Stiftungen, die bisher angefragt wurden, schickten Absagen (einige Rückmeldungen stehen noch aus und werden als Pflänzchen der Hoffnung gehegt). Da das Vorhaben für die Albert Steffen-Stiftung ein existentielles Wagnis ist, sei hier unsere Bitte möglichen Unterstützern warm ans Herz gesprochen.

Christine Engels für die Albert Steffen-Stiftung

Informationen bei der Stiftung (Unterer Zielweg 36, Dornach; www.steffen-stiftung.ch)