Tag-Ich und Nacht-Ich. Ein «spätes» Ölbild, ca. 1936
• Wir haben unten in der linken Ecke eine Gestalt in Blau. Von oben nach unten geschaut finden wir darin ein Profil mit Stirne, Nase und Mund, eine Krallenhand und ein angezogenes Knie. Eine blaue Gestalt, die sich zusammenzieht bis sie fast verknöchert. Gegenüber, unten rechts, eine rote Gestalt, so prall voller Kraft, daß sie zwar die Fäuste ballt, aber doch nicht recht bei sich bleiben kann. Die Haare wehen bis über die Mitte des Bildes hinauf. Sie erscheint so ausgreifend rot, als wolle sie über sich hinaus und wirkt wie der Gegenpol zum Blau. Zwischen ihnen eingeklemmt ein Löwe in nicht gerade angenehmer Lage. Die Folgen seines Eingeklemmtseins zeigen sich in seiner Mähne in allerhand emotionalen Gebilden.
• Darüber liegt ein grünes Gebilde, halb Wasser, halb Fisch mit Augen, Flossen und Schwanz.
• Wenn man sich erinnert, wie Steffen berichtet, man könne im «Traum» das eigene höhere Wesen als Kind, Löwe oder Puppe wahrnehmen, so könnte dieser Hinweis der Schlüssel zu diesem Bilde sein. Angenommen, wir sind der Löwe, täglich eingeklemmt zwischen einer verhärtenden und einer nach außen drängenden Kraft …
• Und nun lastet fast jenes grüne Wasser-Fischwesen wie eine Schwelle, die nicht zu überwinden ist auf unserem Löwen und läßt ihn nicht aufatmen. Denn daß er gerne in einen ruhigeren Zustand käme, daran ist wohl kein Zweifel, oder? –
• Wir kennen mehrere Wege, die Schwelle zum Geistigen zu überwinden, z.B. durch Meditation, im Schlaf oder im Tod. Sowohl im willkürlichen wie im unwillkürlichen Übergang tritt eine Läuterung ein, im Seelischen ein Ordnen und Entmischen. Malerisch gesehen fällt auf, daß jede Gestalt unseres Bildes in reinen Farben gehalten ist – dies gilt in diesem Falle auch für das Grün, das Steffen meist als Grundfarbe behandelt – außer dem Löwen, der gelb-rot gemischt erscheint.
• Soll auch er rein werden, kann man ihn entmischen … mit erstaunlicher Wirkung. Offensichtlich gelangt er über die Schwelle, indem sich das Gelb im Atmosphärischem ausbreitet, das Rot aber als warme Qualität sich zu einem Antlitz sammelt, dem wahren Antlitz unseres Löwen, oder Selbst. Auch alle Emotionen sind verwandelt und zur Ruhe gekommen.
• So dürfen wir sagen: teilt man das Bild mit der grünen Schwelle in ein Unten und Oben, dann haben wir in der unteren Hälfte ein imaginatives Bild unseres Selbst während des Tageslebens, in der oberen eines während der Nacht, bzw. im leibfreien Zustand.